Filmvorführung »Die richtige Seite der Geschichte«

Filmvorführung »Die richtige Seite der Geschichte«

Wann

Freitag - 31.10.2025
19:00 - 23:00  

Wo

translib
Goetzstraße 7, Leipzig

Rollstuhlgerecht? Nein
Details

»Die richtige Seite der Geschichte«

Ein Filmabend in der translib mit anschließender Diskussion und Bar.

31.10.2025, 19:00 Uhr, translib, Lützner Straße 30.

»Ich habe auch mit ein, zwei Auschwitz-Überlebenden gesprochen, und hab, was die mir erzählt haben, natürlich auch aufgenommen und weitergegeben, natürlich nicht als deren Erlebnisse, sondern meine. Ich habe mir interessanterweise noch nicht mal die grausamsten rausgesucht…, weil wenn man die grausamsten Erlebnisse erzählt hätte, dann wäre es unglaubwürdig geworden, weil das kann kein Mensch glauben.«

Durch eine Recherche des Nachrichtenmagazins Der Spiegel wurde 2018 publik, dass der damalige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Pinneberg bei Hamburg, Wolfgang Seibert, über Jahrzehnte eine ausgedachte Familiengeschichte öffentlich verbreitet hatte. Er hatte behauptet, seine Großeltern seien als Jüdin und Jude von den NationalsozialistInnen verfolgt und in Auschwitz inhaftiert worden. Diese Erzählung verband Seibert mit einer angeblichen antifaschistischen Kontinuität in der Familie: Schon sein Großvater sei als Anarchist im Spanischen Bürgerkrieg gewesen und habe sich, nach seiner Flucht von einem sogenannten Evakuierungsmarsch aus Auschwitz, der polnischen Untergrundarmee angeschlossen. Dieser familiäre Hintergrund diente für Seibert immer wieder als Legitimationsmoment in politischen Auseinandersetzungen und Diskussionen und bot ihm eine Möglichkeit, Anschluss in der linken Szene zu finden. Er setzte diese Geschichten ein, um seiner Position Nachdruck zu verleihen. Tatsächlich stellte sich durch Recherchen von Der Spiegel und weiterer heraus, dass Seiberts Großvater sowohl Mitglied der NSDAP als auch der Wehrmacht gewesen ist. Von der für sich reklamierten Tradition der Widerständigkeit gab es in der tatsächlichen Familiengeschichte keine Spur. In Folge der Aufdeckung und des internationalen Skandals legte Seibert sein Amt als Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde nieder und zog sich vollständig aus der Öffentlichkeit zurück.

Dreieinhalb Jahre später spricht Seibert in dem Dokumentarfilm »Die richtige Seite der Geschichte« erstmals öffentlich über seine Lüge und deren Entstehung. Dabei bleibt er als Quelle unsicher. Mit dieser Unsicherheit arbeitet der Film. Er versucht nicht, den Wahrheitsgehalt von Seiberts Aussagen zu hinterfragen oder dessen Geschichte aufzuklären. Dies überlässt er den Zuschauer:innen. Der Film interessiert sich vielmehr für Methoden der Fälschung, Fiktionalisierung und Inszenierung. Hier wird Seibert zum Experten, der die Gier seines Publikums nach einer Geschichte erspürt. Der Film ist dabei selbstreflexiv hinsichtlich seiner eigenen manipulativen Mittel. »Die richtige Seite der Geschichte« klärt nicht die Geschichte von Wolfgang Seibert auf. Vielmehr zeigt der Film, wie Projektion, Bedürfnis und Begehren im Postnazismus sich mitunter phantastische Opfer imaginieren und lässt Täuschung in ihrem Entstehen sichtbar werden.

Wir laden euch an diesem Abend in die translib ein, um den Film zu schauen und mit Clemens Böckmann als einem der Regisseure darüber ins Gespräch zu kommen. In seiner Form wie in seinem Inhalt wirft der Film viele Fragen auf: Warum führen etwa die Abgründe der nationalsozialistischen Verbrechen im »Land der Täter« immer wieder zu dem Phänomen der Identifikation mit den Opfern , deren erlittenes Schicksal man jedoch nicht tatsächlich teilen wollen kann? Profitieren von einer solchen Identifikation, die vordergründig die Nähe zu den Opfern betont, am Ende immer nur die TäterInnen und ihre Nachkommen? Welche Bedürfnisse nach einer möglichen historischen Selbstverortung einer deutschen Linken wurden durch die Erzählungen Wolfgang Seiberts vielleicht bedient und müssten dafür alternative Verarbeitungsweisen  gefunden werden? Wie wurde schließlich der »Fall Seibert« unter ihm nahestehenden Personen aus dem linken Umfeld aufgearbeitet? Diese und eure Fragen wie auch Seheindrücke möchten wir an diesem Abend gemeinsam diskutieren.

»Die richtige Seite der Geschichte«. Ein Film von Clemens Böckmann, Carolin Haentjes und David Scheffler, DE 2023, 29 min.

Link zur Veranstaltung: https://www.translib.de/material/filmvorfuehrung-die-richtige-seite-der-geschichte

Veranstaltende Gruppe: translib. communistisches Labor Leipzig

Sprache des Events: Deutsch

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