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Kafka lesen im Sozialismus: Entfremdung und Revolution
Tagesseminar zur Kafka-Konferenz in Liblice 1963 (mit Anmeldung)
Anlässlich seines 80. Geburtstags fand im Mai 1963 im tschechoslowakischen Liblice die Konferenz Franz Kafka aus Prager Sicht statt. Ein Jahr später schrieb die Süddeutsche Zeitung: Die „Chiffre Kafka“ stehe für „geistigen Aufbruch, für Ende der Atemnot und Durchbrechen der Grenzen, mit denen die Literatur des Ostblocks eingegittert war“. Ein Hinweis auf die Sprengkraft dieser Konferenz, die weit über rein literaturwissenschaftliche Fragen hinausging. Denn bei den Diskussionen der etwa 100 tschechoslowakischen und internationalen Germanist*innen, Literaturwissenschaftler*innen und Philosoph*innen ging es auch um mögliche Reformen des (real-existierenden) Sozialismus und den Abbau bestehender kulturpolitischer Dogmen: Ideen, die 1968 im Prager Frühling mit der Forderung nach einem ‚Sozialismus mit menschlichem Antlitz‘ die tschechoslowakische Gesellschaft ergriffen.
Obwohl mehrfach betont wurde, dass die Konferenzteilnehmer*innen „[a]ls Marxisten […] unter Genossen“ diskutierten, blieb der zentrale Begriff der Entfremdung im Werk Kafkas umstritten, vor allem hinsichtlich der Frage, inwieweit seine Diagnose der modernen bürgerlichen Gesellschaft auch auf die sozialistische zutraf. Ergebe sich, so fragte ein Teilnehmer, Kafkas Aktualität nicht gerade daraus, dass seine dichterische Symbolik auch vor den „bisher nicht beseitigten Deformationen der sozialistischen gesellschaftlichen Beziehungen“ warne? Oder sei Kafka vielmehr – wie Vertreter:innen aus der DDR meinten – „historisch zu machen“, weil „die großen gesellschaftlichen Umwälzungen in den sozialistischen Ländern […] die Grundlagen der kapitalistischen Entfremdung revolutionär zerbrochen“ hätten?
Im Seminar wollen wir von einem Text Kafkas (Der Heizer) ausgehend ausgewählte Beiträge der Konferenz diskutieren. Dabei wollen wir eigene Leseeindrücke und die Positionen der Beiträge ins Gespräch bringen. Ausgangspunkt sind die Fragen: Wie findet Entfremdung in Kafkas Texten ästhetisch Ausdruck? Was bot gerade an ihnen Potenzial für eine Kritik des Realsozialismus? Woher rührt die gesellschaftspolitische Sprengkraft Kafkas, die von der Konferenz freigesetzt wurde? Schließlich wollen wir auch diskutieren, ob, und wenn ja, warum wir uns als Kommunist*innen heute noch mit Kafka befassen sollten. Ist, was wir in seinen Texten über (scheiternde) Bemühungen, diese Zustände zu überwinden, lesen können, längst überholt? Oder ist es auch heute – 100 Jahre nach Kafkas Tod, 60 Jahre nach der Konferenz von Liblice – aktuell?
Das Seminar findet am 6. Dezember 2025 von 10.30 bis 18.00 Uhr in der translib statt. Die Teilnehmer*innenzahl ist auf 20 beschränkt. Ein Reader (ca. 70 Seiten) wird euch nach Anmeldung unter mail@translib.de zugeschickt. Außer der vorbereitenden Lektüre sind keine Vorkenntnisse nötig.
Link zur Veranstaltung: http://translib.de
Veranstaltende Gruppe: translib
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