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Die Pille-essende Frau. Verhütung und Abtreibung im Spannungsfeld von
Biopolitik, weiblicher Selbstbestimmung und Eugenik
Die Antibabypille gilt gemeinhin als Symbol für die sexuelle Befreiung von Frauen seit den 1960er Jahren. Mit Begriffen wie ‚Geburtenrückgang‘, ‚Gebärstreik‘ oder Sexuelle Revolution verbindet sich die Vorstellung, dass es Frauen erstmals seit dem zweiten Drittel des 20. Jhs. möglich geworden ist, Kinder nur noch unter Prämissen der Selbstbestimmung zu bekommen. Doch Kenntnisse über Methoden der Schwangerschaftsverhütung und Abtreibung gibt es seit Jahrtausenden. Allerdings lag das Verhütungswissen und seine Anwendung in den Händen von Frauen. In Mittel- und Westeuropa setzte erst seit der Frühen Neuzeit im Rahmen der Jagden auf vermeintliche Hexen und einer generellen Patriarchalisierung der Gesellschaft eine Politik der Reglementierung der Hebammen und Weisen Frauen ein.
Im Vortrag wird die gängige Vorstellung über die Antibabypille als ein Instrument der Emanzipation kritisch hinterfragt und historisch eingeordnet: Beginnend im 16. Jh., in dem auf Grundlage der christlichen Sexualmoral die systematische Zerstörung der traditionellen Frauenkultur durch die Obrigkeit einsetze, hin zur Begründung der männlichen Gynäkologie im 18. Jh., die wiederum eine zentrale Rolle für die Etablierung der Rassenhygiene und Eugenik an Universitäten im 19. Jh. spielen sollte: Das Konzept des Gebärzwangs für die einen und des Gebärverbots für die anderen Frauen stand im Zentrum dieser biopolitischen Bewegung, die schließlich auch für die nationalsozialistische Rassen- und Vernichtungspolitik führend wurde. So ist es kein Zufall, dass ausgerechnet Deutschland als Geburtsland der Antibabypille in die Wissenschaftsgeschichte einging. Denn im KZ Auschwitz erprobte der SS-Arzt und Professor für Gynäkologie Carl Clauberg in Kooperation mit dem Pharmaunternehmen Schering AG die hormonelle Sterilisation an Häftlingsfrauen zur generativen Ausrottung der jüdischen Bevölkerung. US-Forscher führten in den 1950er Jahren die Experimente zur hormonellen Unfruchtbarmachung an puerto-ricanischen Frauen aus der Armutsbevölkerung fort, bis diese Sterilisationsmethode in den 1960er Jahren als Verkaufsschlager der Pharmaindustrie auf den Markt kam und nun unter dem euphemistischen Titel „Antibabypille“ auch von westlichen, zunächst nur verheirateten Frauen mit Erlaubnis des Ehegatten geschluckt werden durfte.
Seither geriet die Antibabypille immer wieder wegen ihrer vielen, teils lebensgefährlichen ‚Nebenwirkungen‘ in die Kritik – doch ihre politische Geschichte blieb verdrängt.
Die Veranstaltung findet in Kooperation mit weiterdenken Heinrich-Böll-Stiftung und dem Jugendphase e.V. statt.
Einlass 18 Uhr
Veranstaltende Gruppe: Pro Choice Leipzig
Sprache des Events: deutsch
Eintritt: frei!
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